Männer, die eine Prostata-Operation hinter sich haben, stehen oft vor der Herausforderung einer Harninkontinenz – dem ungewollten Verlust von Urin. Dies kann belastend für Psyche und Alltag sein, doch es gibt lösungsorientierte Ansätze, um die Kontrolle (Kontinenz) zurückzugewinnen. Ein Kontinenztraining bei Männern nach einer Prostata-OP setzt vor allem auf gezieltes Beckenbodentraining, um die betroffene Muskulatur zu stärken. Ein kräftiger Beckenboden kann die Blasenfunktion verbessern und die Lebensqualität deutlich steigern. Zudem zeigen Studien, dass regelmäßiges Beckenbodentraining nach einer Prostata-OP nicht nur gegen Harninkontinenz hilft, sondern auch eine positive Auswirkung auf die Potenz haben kann. In diesem Ratgeber erfahren Sie einfühlsam und sachlich, wie Sie Ihren Beckenboden lokalisieren und effektiv trainieren können, wie sich Übungen in den Alltag integrieren lassen, welche Fehler es zu vermeiden gilt und wann professionelle Hilfe sinnvoll ist.
Wichtig: Jede Rehabilitation ist individuell. Hören Sie auf Ihren Körper und holen Sie bei Unsicherheiten medizinischen Rat ein. Dieser Artikel bietet Informationen und Tipps, ersetzt jedoch keine ärztliche Beratung.
Nach der Prostata-OP: Den Beckenboden erkennen und aktivieren
Nach einer Prostataoperation, z. B. bei einer radikalen Prostatektomie bei Prostatakrebs oder der Entfernung einer gutartigen Prostatavergrößerung, kommt dem Beckenboden eine entscheidende Rolle zu. Warum? Die Prostata liegt anatomisch nahe am Schließmuskel der Harnröhre. Operationen an der Prostata können dazu führen, dass Muskeln und Nerven, die für die Blasenkontrolle wichtig sind, beeinträchtigt werden. Der Beckenboden, das muskuläre Fundament des Beckens, muss diese Funktion nun verstärkt übernehmen. Ein gezieltes Training kräftigt die Beckenbodenmuskulatur und unterstützt so den Blasenschließmuskel, damit Inkontinenz reduziert wird. Zudem fördert ein fitter Beckenboden die Durchblutung im Unterleib, was Potenz und Erektion positiv beeinflussen kann.
Was ist der Beckenboden? Aus anatomischer Sicht besteht der Beckenboden aus mehreren Muskelschichten und bindegewebigen Strukturen, die den Beckenausgang nach unten hin abschließen. Man kann ihn sich wie eine elastische Trampolin-Matte vorstellen, die sich zwischen Schambein (vorn), Steißbein (hinten) und den Sitzbeinhöckern (seitlich) aufspannt. Beim Mann hat der Beckenboden zwei Öffnungen: eine für den Enddarm und eine für die Harnröhre (bei der Frau kommt noch die Scheidenöffnung hinzu). Durch diese Öffnungen verlaufen die Organe (Urethra und Darm), wobei ringförmige Schließmuskeln, man nennt sie auch „Schnürmuskeln“, die Kontinenz gewährleisten. Ein gut trainierter Beckenboden unterstützt also die Schließmuskeln von Blase und After, hält die inneren Organe an Ort und Stelle. Das hilft Druck im Bauchraum (beim Husten, Niesen, Heben etc.) abzufedern.
Warum ist das nach einer Prostata-OP so wichtig? Viele Männer erleben direkt nach dem Eingriff eine Phase der Harninkontinenz, insbesondere eine Belastungsinkontinenz (Urinverlust bei Druckerhöhungen, z. B. beim Husten oder Aufstehen). Das ist eine häufige Auswirkung der Operation, da Teile des Blasenschließmuskels oder unterstützende Strukturen beeinträchtigt wurden. Aber: Durch konsequentes Beckenbodentraining können Sie diesem unwillkürlichen Harnverlust entgegenwirken. Der Beckenboden übernimmt dann kompensatorisch die Funktion, den Urin zurückzuhalten. Auch wenn überwiegend Frauen nach Schwangerschaft und Geburt vom Beckenbodentraining hören, ist es für Männer ebenso bedeutsam – vor allem nach einer Prostataoperation oder Bestrahlung (Strahlentherapie) im Beckenbereich. Leider wissen viele Männer zunächst nicht genau, wo sich dieser „unsichtbare“ Muskel befindet und wie man ihn bewusst anspannt. Daher steht am Anfang des Kontinenztrainings die Aufgabe, den eigenen Beckenboden überhaupt zu finden und zu aktivieren.
Den eigenen Beckenboden finden: Eine praktische Anleitung
Bevor Sie mit konkreten Beckenbodenübungen loslegen, ist es wichtig, ein Gefühl für die richtige Muskulatur zu entwickeln. So spüren Sie Ihren Beckenboden:
- Lage erspüren: Setzen Sie sich aufrecht auf ein festes Therapiekissen oder einen prall gefüllten Gymnastikball (Pezziball). Bewegen Sie behutsam Ihr Becken und kreisen Sie in verschiedene Richtungen. Sie werden Druckveränderungen im Schritt wahrnehmen – genau dort liegt der Beckenboden, der bei den Bewegungen leicht mitbewegt wird. Diese Übung hilft dabei, sich die Region bewusst zu machen. Als Hilfsmittel eignen sich Gymnastikhilfen, wie Bälle oder Balancekissen, die im Alltag unauffällig genutzt werden können.
- Zielmuskel identifizieren: Versuchen Sie nun, den Damm – das ist der Bereich zwischen Hodensack und After – gedanklich „nach innen oben“ zu ziehen. Dabei zieht sich die Beckenbodenmuskulatur zusammen. Sie merken vielleicht, wie sich dabei der Penis oder die Hodenbasis minimal heben. Dieses leichte Anheben signalisiert die richtige Anspannung. Wichtig: Der Damm besteht größtenteils aus Beckenbodenmuskeln. Wenn Sie diese Region kontrahieren, trainieren Sie bereits den richtigen Muskel.
- Vergleich mit bekannten Aktionen: Stellen Sie sich vor, Sie müssten dringend ein Wasserlassen aufschieben. Das Zusammenkneifen, um den Urin zurückzuhalten, ist genau die Anspannung im Inneren, die wir suchen. Ähnlich ist es, als wollten Sie eine Blähung willentlich unterdrücken. In beiden Fällen aktivieren Sie reflexartig den Beckenboden. Tipp: Legen Sie dabei eine Hand auf den Bauch oder das Gesäß. Diese Körperteile sollten möglichst ruhig und entspannt bleiben, damit wirklich nur der Beckenboden arbeitet. Verkrampfen sich Po oder Bauch, versuchen Sie es mit weniger Kraft. Die Beckenbodenmuskeln arbeiten sehr subtil und benötigen zu Beginn keine maximale Kraft.
- Atmung einsetzen: Achten Sie auf Ihre Atmung, denn Ein- und Ausatmen beeinflusst den Beckenboden. Beim tiefen Einatmen drückt das Zwerchfell die Organe leicht nach unten, der Beckenboden entspannt sich und senkt sich minimal ab. Beim Ausatmen hingegen zieht das Zwerchfell nach oben und der Beckenboden hebt sich leicht. Nutzen Sie diesen Effekt: Spannen Sie den Beckenboden bevorzugt beim Ausatmen an – so fällt es leichter. Halten Sie niemals die Luft an, wenn Sie die Spannung halten, sondern atmen Sie ruhig weiter. Eine kleine Übung dazu: Legen Sie sich in Rückenlage, atmen Sie tief in den Bauch ein (Bauchdecke hebt sich) und atmen Sie dann durch den Mund aus. Stellen Sie sich beim Ausatmen vor, wie sich Ihr Beckenboden hebt, als würden Sie sanft etwas „ansaugen“. Diese Kopplung aus Atemrhythmus und Beckenbodenaktivität verankert ein besseres Gefühl für die Muskulatur.
Hinweis: Direkt nach der OP sind diese Wahrnehmungsübungen möglicherweise schwieriger, da Nervenreizleitungen gestört sein können. Geben Sie sich Zeit. Mit Geduld kommt das Gefühl zurück. Beginnen Sie möglichst frühzeitig, idealerweise schon präventiv vor der Operation, mit leichten Anspannungsübungen. Aber auch postoperativ ist es nie zu spät: Schritt für Schritt werden Sie die Kontrolle verbessern.

Kontinenztraining im Alltag: Routinen entwickeln und Fortschritte messen
Damit das Beckenbodentraining wirkungsvoll ist, braucht es Regelmäßigkeit. Wie andere Muskeln lässt sich auch der Beckenboden am besten durch tägliches Üben stärken. Im stressigen Alltag vergisst man solche Übungen jedoch leicht. Wir haben einige Tipps für Sie zusammengestellt, wie Sie Training und Alltag verbinden können:
Alltagstaugliche Routinen: Verknüpfen Sie das Training mit bestehenden Aktivitäten. Zum Beispiel können Sie beim Zähneputzen oder während Sie Wasser aufsetzen ein paar Kontraktionen einbauen. Oder nehmen Sie sich vor, jedes Mal nach dem Toilettengang zwei, drei kurze Beckenbodenübungen zu machen, z. B. ein mehrmaliges gezieltes An- und Entspannen. Solche festen Situationen dienen als Erinnerung. Auch Wartezeiten – an der roten Ampel oder in der Supermarkt-Schlange – lassen sich diskret für ein Beckenbodentraining nutzen. Anspannung und Entspannung sind von außen nicht sichtbar. Integrieren Sie die Übungen in Ihre täglichen Routinen. Etwa beim Spazierengehen können Sie die Beckenbodenmuskulatur für einige Schritte rhythmisch anspannen und dann wieder locker lassen. Wichtig ist, dass das Training zur Gewohnheit wird, ähnlich wie das Zähneputzen – als selbstverständlicher Teil des Tages.
Häufigkeit und Dauer: Sie fragen sich, wie oft und wie lange Sie Ihre Beckenbodenmuskulatur trainieren sollten? Experten empfehlen, anfangs in kurzen Einheiten, dafür mehrmals täglich, zu üben. Zum Beispiel können Sie 3-mal täglich (morgens, mittags, abends) eine kleine Trainingseinheit einlegen. Jede Einheit könnte aus 3 Durchgängen von Übungen bestehen, die jeweils einige Anspannungen beinhalten. Qualität geht vor Quantität: Lieber wenige Wiederholungen korrekt ausführen, als sich mit zu vielen zu überfordern. Beginnen Sie mit kurzen Anspannungen (2–5 Sekunden halten) und ebenso langen Pausen zum Entspannen. Im Verlauf der Wochen können Sie die Haltezeit stetig steigern (z. B. von 5 auf 10 Sekunden). Achten Sie darauf, dass Sie den Beckenboden nicht überlasten. Muskelkater oder Erschöpfung können kontraproduktiv sein. Gönnen Sie den Muskeln zwischendurch Ruhephasen, ähnlich wie bei jedem Krafttraining.
Fortschritte erkennen: Seien Sie geduldig. Spürbare Verbesserungen treten oft erst nach einigen Wochen oder wenigen Monaten auf. Kleine Erfolge zeigen sich beispielsweise darin, dass Sie sich Ihre Kontrolle beim Wasserlassen verbessert, Sie weniger oder dünnere Vorlagen benötigen oder kein Urin mehr austritt, wenn Sie husten oder lachen. Notieren Sie solche Verbesserungen in einem Tagebuch. Beispielsweise können Sie die Anzahl der Vorlagen pro Tag, „trockene“ Nächte oder das erste Mal, dass Sie wieder ohne Harnverlust durchgelacht haben, eintragen. Ein Fortschrittstagebuch kann motivieren und Ihnen objektive Informationen liefern, dass das Training Wirkung zeigt, selbst wenn es schleichend geht. Vergleichen Sie Ihren Zustand monatlich, nicht täglich, um auch subtile Veränderungen wahrzunehmen. Wenn Sie unsicher sind, ob Sie den Beckenboden richtig einsetzen, kann ein Biofeedback-Gerät helfen: Diese medizinischen Trainingsgeräte zur Beckenbodenaktivierung sind in Physiopraxen oder bei Fachhändlern erhältlich und zeigen via Sensoren an, ob Sie die richtigen Muskeln anspannen. So etwas kann gerade am Anfang nützlich sein, ist aber kein Muss.
Die effektivsten Beckenbodenübungen für Männer nach einer Prostata-OP
Im Folgenden finden Sie eine Auswahl an Beckenbodenübungen, die sich in der Praxis bewährt haben. Führen Sie die Übungen in Ruhe und konzentriert aus. Achten Sie auf eine korrekte Position und Körperhaltung, damit der Beckenboden optimal arbeiten kann. Versuchen Sie, während jeder Übung normal weiterzuatmen und keine anderen Muskelgruppen (Gesäß, Oberschenkel, Bauch) anzuspannen.
Übung 1: Grundspannung in Rückenlage (Einsteigerübung)
Diese Übung eignet sich besonders in den ersten Wochen nach der Operation, da sie in einer entlastenden Haltung trainieren können.
- Legen Sie sich auf den Rücken auf eine Matte oder auf eine bequeme Unterlage. Stellen Sie die Beine angewinkelt auf (Füße etwa hüftbreit auf dem Boden). Die Knie zeigen zur Decke. Legen Sie die Hände locker auf den Unterbauch.
- Atmen Sie tief ein. Spannen Sie beim Ausatmen behutsam Ihren Beckenboden an, als wollten Sie gleichzeitig den Urinfluss unterbrechen und den After verschließen. Wichtig: Spüren Sie dabei, dass Ihre Bauchdecke nicht hart wird. Bauch und Po sollten entspannt bleiben, es zieht nur innerlich.
- Halten Sie die Spannung für ca. 5 Sekunden, während Sie ruhig weiteratmen. Wenn es geht, lächeln Sie dabei (das hilft, entspannt zu bleiben!).
- Lösen Sie dann die Anspannung und atmen Sie ein. Entspannen Sie den Beckenboden mindestens 5 Sekunden lang.
- Wiederholen Sie diesen Ablauf etwa 10-mal. Machen Sie anschließend eine Pause. Fortgeschrittene können die Haltephase nach einigen Wochen auf 8–10 Sekunden ausdehnen und die Übungsserie mehrmals hintereinander durchführen. Die Muskulatur wird so auf Kraft und Ausdauer trainiert.
Übung 2: Beckenboden aktivieren im Vierfüßler-Stand
Diese Übung mobilisiert die Wirbelsäule und aktiviert den Beckenboden im Rhythmus der Bewegung. Sie ist im Yoga als „Katze und Kuh“ Übung bekannt.
- Begeben Sie sich in den Vierfüßler-Stand: Knie und Hände berühren den Boden. Die Knie sind etwa hüftbreit geöffnet. Finden Sie eine angenehme, stabile Haltung.
- Machen Sie nun einen Katzenbuckel: Beim Ausatmen kippen Sie das Becken, indem Sie das Steißbein nach unten/innen ziehen. Der Rücken rundet sich dabei nach oben. Gleichzeitig ziehen Sie den Bauch leicht ein. In diesem Moment spannen Sie den Beckenboden fest an (als würden Sie ihn nach innen oben saugen).
- Anschließend gehen Sie ins geführte Hohlkreuz: Beim Einatmen heben Sie den Kopf leicht und kippen das Becken in die Gegenrichtung (Steißbein nach oben herausstrecken). Der Rücken wird ins leichte Hohlkreuz geführt. Entspannen Sie den Beckenboden dabei.
- Wiederholen Sie diesen Wechsel von Rundrücken (mit Anspannung) und Hohlkreuz (mit Entspannung) langsam 5-10 Mal. Die Bewegung kann fließend sein. Fortgeschrittene versuchen, die Beckenbodenspannung in der Rundrückenposition für mehrere Atemzüge zu halten, bevor sie wieder locker lassen.
Diese Übung stärkt nicht nur den Beckenboden, sondern verbessert auch die Flexibilität im unteren Rücken. Achten Sie darauf, weiterzuatmen und Ihren Nacken entspannt zu halten.
Übung 3: Imaginäre Uhr im Sitzen
Hierbei handelt es sich um eine Sitzübung, die hilft, das Becken gezielt zu bewegen und den Beckenboden zu aktivieren. Sie eignet sich sehr gut für zwischendurch am Schreibtisch.
- Setzen Sie sich auf einen Stuhl, die Füße stehen flach auf dem Boden, Rücken gerade. Die Beine sind leicht geöffnet (etwa eine Handbreit Abstand zwischen den Knien).
- Tasten Sie mit den Händen unter Ihre Sitzbeinhöcker (die knöchernen Punkte unterhalb des Gesäßes). Stellen Sie sich vor, Sie sitzen auf dem Zifferblatt einer Uhr. Kippen Sie nun langsam das Becken: nach vorne Richtung 12 Uhr (Hohlkreuz), nach hinten Richtung 6 Uhr (Rundrücken), und seitlich nach links 9 Uhr und rechts 3 Uhr. Die Hände spüren mit, wie sich der Druck unter den Sitzbeinhöckern verändert.
- Kommen Sie anschließend zur Mitte zurück (neutral aufgerichtet). Spannen Sie beim Ausatmen Ihren Beckenboden maximal an – so als wollten Sie ihn nach oben ziehen. Halten Sie die Anspannung 3-5 Sekunden, ohne Gesäß oder Oberschenkel anzuspannen. Dann lösen.
- Wiederholen Sie das Anspannen im Sitzen 10-mal. Diese Übung können Sie mehrmals täglich ausführen. Sie ist sehr diskret und niemand wird es im Alltag bemerken. Wichtig: Halten Sie dabei Ihre Körperhaltung aufrecht (als würde ein Faden Sie am Scheitel nach oben ziehen). Eine gute Haltung entlastet den Beckenboden und verbessert die Übungseffektivität.
Übung 4: Beckenboden-Training beim Aufstehen (Kniebeugen)
Bei diesem alltagsnahen Training kombinieren Sie das Aufstehen aus dem Sitzen mit einer Beckenbodenspannung, um die Muskeln in funktionellen Bewegungen einzusetzen.
- Setzen Sie sich auf einen Stuhl und rutschen Sie zum vorderen Drittel der Sitzfläche. Die Füße stehen schulterbreit, etwas nach außen gedreht.
- Lehnen Sie den Oberkörper leicht nach vorne (gerader Rücken). Pressen Sie keinesfalls mit Kraft nach unten – arbeiten Sie mit den Beinen.
- Ausatmen & Aufstehen: Beim Aufstehen aus dem Stuhl drücken Sie sich über die Fersen nach oben. Genau in diesem Moment spannen Sie bewusst den Beckenboden und Ihren Schließmuskel an. Stellen Sie sich vor, Sie möchten während des Aufstehens Urin und Stuhl zurückhalten – so erreichen Sie die maximale Kontraktion.
- Einatmen & Hinsetzen: Setzen Sie sich langsam wieder hin (kontrollierte Bewegung, nicht plumpsen lassen) und entspannen Sie dabei den Beckenboden.
- Wiederholen Sie das Aufstehen und Hinsetzen 5-10 Mal hintereinander. Achten Sie darauf, nicht die Luft anzuhalten. Diese Übung stärkt die Beckenbodenmuskeln genau in einer Situation, in der sie im Alltag gefordert sind (vom Sitzen ins Stehen wechseln). Zudem trainieren Sie Ihre Beinmuskulatur mit – ein doppelter Gewinn.
Tipp: Nutzen Sie Hilfsmittel aus dem Sortiment von Reha-Anbietern, um Abwechslung in die Übungen zu bringen. Ein Therapie-Kissen auf dem Stuhl kann z. B. als instabile Unterlage dienen, wodurch die Tiefenmuskulatur (inkl. Beckenboden) mehr arbeiten muss. Gymnastikhilfen wie kleine Bälle oder Widerstandsbänder ermöglichen zusätzliche Variationen: Etwa den Ball zwischen die Knie klemmen und beim Anspannen leicht zusammendrücken, um die Muskelschlingen des Beckenbodens weiter zu aktivieren. Es gibt auch spezielle Trainingsgeräte zur Beckenbodenaktivierung, zum Beispiel Elektrostimulationsgeräte, die via sanfter Reize die Muskulatur aufbauen. Solche Geräte sollten idealerweise in ärztlicher Absprache eingesetzt werden. In jedem Fall gilt: Die beste Übung ist die, die Sie regelmäßig machen, ob mit oder ohne Hilfsmittel.
Fehler vermeiden: Worauf sollte ich beim Üben besonders achten?
Gerade zu Beginn können leicht Fehler passieren, die den Erfolg des Kontinenztrainings schmälern. Im Folgenden finden Sie eine Übersicht typischer Fehler und wie Sie diese vermeiden können:
- Falsche Muskeln mitanspannen: Viele Personen spannen unbewusst den Po, die Oberschenkel oder den Bauch mit an, wenn sie den Beckenboden trainieren. Das sollte vermieden werden. Kontrollieren Sie sich selbst: Legen Sie eine Hand auf den Bauch und die andere auf das Gesäß. Diese Bereiche sollten beim Anspannen des Beckenbodens möglichst locker bleiben. Konzentrieren Sie sich auf das Gefühl im Inneren. Tipp: Wenn sich die Beine oder das Gesäß anspannen, versuchen Sie es in einer anderen Position, z. B. liegend statt stehend. Manchmal fällt es leichter, die Muskulatur in einer bestimmten Haltung zu isolieren.
- Atem anhalten: Halten Sie während der Übungen niemals die Luft an! Anspannung geht oft mit angehaltenem Atem einher, was jedoch kontraproduktiv ist. Denken Sie an den Rhythmus: Ausatmen = Anspannen, Einatmen = Lösen. Zählen Sie während der Haltephase leise mit oder sprechen Sie ein paar Worte, um zu prüfen, ob Sie entspannt weiteratmen.
- Pressen statt anspannen: Vermeiden Sie es, beim Üben nach unten zu pressen, als wollten Sie etwas herausdrücken. Das ist genau das Gegenteil der gewünschten Bewegung, denn Pressen belastet den Beckenboden, anstatt ihn zu stärken. Versuchen Sie, die Anspannung stets als ein „Nach-innen-oben-Ziehen“ zu empfinden. Sollte Ihnen das schwerfallen, kehren Sie zu den Wahrnehmungsübungen zurück oder holen Sie sich Anleitung von einer Fachperson.
- Zu viel, zu schnell: Auch Übermotivation kann schaden. Steigern Sie deshalb Umfang und Intensität des Trainings langsam. Die Devise lautet: regelmäßig statt radikal. Wer zu früh sehr lange Übungseinheiten erzwingt oder täglich Hunderte von Kontraktionen ausführt, riskiert eine Ermüdung der Muskulatur. Ein erschöpfter Beckenboden kann seine Funktion vorübergehend schlechter erfüllen. Das könnte die Symptome der Inkontinenz kurzfristig sogar verschlimmern. Üben Sie also mit Augenmaß und gönnen Sie dem Muskel Entspannung.
- Ungeduld und Unregelmäßigkeit: Ein häufiger „Fehler” ist, das Training aufzugeben, weil sich nicht sofort Erfolg einstellt. Denken Sie daran: Der Körper braucht Zeit, um sich nach dem Eingriff zu erholen, und Muskeln müssen über Wochen hinweg trainiert werden. Bleiben Sie dran, auch wenn es anfangs frustrierend erscheint. Unregelmäßiges Üben („nur, wenn man gerade daran denkt“) ist deutlich weniger effektiv als ein fester Plan. Halten Sie sich daher an Ihre Routine. Auch kleine tägliche Einheiten summieren sich. Bei Inkontinenz nach einer Prostata-Operation ist Dranbleiben der Schlüssel zum Erfolg.
- Training zur falschen Zeit: Gönnen Sie Ihrem Körper nach der Operation ein paar Tage Regeneration, bevor Sie mit aktivem Training starten (es sei denn, der Arzt empfiehlt Ihnen sofortige Übungen). Insbesondere mit Katheter sollten Sie keine Beckenbodenübungen machen. Warten Sie, bis der Katheter entfernt wurde und Ihr Arzt Ihnen grünes Licht gibt. Auch während des Wasserlassens sollten Sie nicht trainieren. Viele denken, sie müssten den Urinstrahl auf der Toilette anhalten, um den Muskel zu stärken. Bitte nicht! Dieses „Üben” beim Toilettengang kann der Blase schaden und zu Restharn führen. Nutzen Sie stattdessen die beschriebenen Techniken außerhalb der Toilette, um den Muskel zu finden.
- Körperhaltung vernachlässigen: Eine ungünstige Position kann den Effekt der Beckenboden-Übungen mindern – egal, ob Sie sitzen, stehen oder liegen. Achten Sie beispielsweise im Sitzen auf eine aufrechte Körperhaltung, damit die Organe nicht auf den Beckenboden drücken. Beim Heben von Lasten sollten Sie ausatmen und den Beckenboden anspannen, um ihn zu schützen. Solche Anpassungen der Alltagshaltungen schonen die Muskulatur und unterstützen den Trainingserfolg.
Motivation und dranbleiben: So integrieren Sie das Beckenbodentraining langfristig in ihren Alltag
Die größte Herausforderung beim Beckenbodentraining ist es meist, konsequent zu bleiben. Die Anfangseuphorie kann schnell nachlassen – vor allem, wenn die Probleme nicht sofort verschwinden. Hier sind ein paar motivierende Ansätze, um dauerhaft am Ball zu bleiben:
- Setzen Sie sich Ziele: Definieren Sie kleine, realistische Ziele. Beispiele sind: „In zwei Wochen möchte ich die Anspannung statt drei Sekunden für fünf Sekunden halten können“ oder „Nach einem Monat möchte ich nur noch eine Vorlage pro Tag benötigen“. Jedes erreichte Ziel, so klein es auch sein mag, sollten Sie feiern, denn es zeigt Ihren Fortschritt.
- Führen Sie ein Trainingstagebuch: Notieren Sie täglich (oder wöchentlich), welche Übungen Sie gemacht haben und wie es Ihnen dabei ergangen ist. Dokumentieren Sie auch kontinenzbezogene Dinge. Wie oft kam es zu Harnverlust? Gab es symptomfreie Tage? Dieses Buch macht Ihren Fortschritt sichtbar. An schwierigen Tagen können Sie nachschlagen und sehen, was Sie schon alles geschafft haben. Außerdem enthüllt es Muster: Vielleicht merken Sie, dass es Ihnen an Tagen mit viel Stress schwerfällt zu trainieren, und können entsprechend gegensteuern, beispielsweise mit einer zusätzlichen Entspannungsübung.
- Integrieren Sie Genuss und Routine: Suchen Sie sich einen festen Zeitpunkt aus, der Ihnen am angenehmsten ist, zum Beispiel morgens nach dem Aufstehen, wenn Sie ungestört sind und Zeit haben. Machen Sie es sich gemütlich: Legen Sie eine Matte an Ihrem Lieblingsplatz aus, hören Sie leise Musik und genießen Sie anschließend einen duftenden Tee als Belohnung. Wenn Sie das Training mit positiven Gefühlen verknüpfen, bleiben Sie leichter dran.
- Partner und Umfeld einbeziehen: Scheuen Sie sich nicht, mit Ihrer Partnerin/Ihrem Partner über das Thema zu sprechen. Verständnis und Unterstützung von nahestehenden Personen können Wunder bewirken. Vielleicht finden Sie Trainingspartner in ihrem direkten Umfeld. Gemeinsam zu trainieren oder sich gegenseitig daran zu erinnern kann motivierend sein. Manchmal helfen schon kleine Scherze oder Anfeuerungen vom Partner, um dranzubleiben.
- Abwechslung suchen: Wenn Sie immer die gleichen Übungen machen, kann das eintönig werden. Variieren Sie deshalb Ihr Programm alle paar Wochen. Fügen Sie neue Übungen hinzu oder steigern Sie die Schwierigkeit, indem Sie beispielsweise von Liege- zu Stehübungen übergehen. Nutzen Sie verschiedene Trainingshilfen aus dem Reha-Bereich, zum Beispiel einen Gymnastikball für Gleichgewichtsübungen, oder probieren Sie ein Trainingsgerät mit Biofeedback aus, das die Kontraktionskraft auf spielerische Weise anzeigt. Auch der Besuch einer Kontinenzgruppe oder eines Gruppenkurses (sofern angeboten) kann hilfreich sein, denn der Austausch mit anderen Betroffenen zeigt, dass man nicht allein ist, und spornt an.
- Positiv bleiben: Denken Sie daran, dass Sie aktiv etwas für sich tun. Jeder Trainingstag ist ein Schritt hin zu mehr Kontrolle über Ihren Körper. Selbst wenn es mal Rückschläge gibt, beispielsweise eine Erkältung, durch die sich die Inkontinenz vorübergehend verschlimmert, wissen Sie: Sie haben Werkzeuge an der Hand, um dagegen anzuarbeiten. Allein dieses Bewusstsein steigert oft schon das Wohlbefinden und die Zuversicht.
Unterstützung suchen: Wann professionelle Hilfe sinnvoll ist
Trotz aller Eigeninitiative gibt es Situationen, in denen Sie nicht zögern sollten, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Physiotherapeut:innen mit einer Zusatzausbildung in Beckenbodenrehabilitation zeigen Ihnen Übungen und überprüfen Ihre Technik. Oft verschreiben Urologen oder Hausärzte nach einer Prostata-Operation sogar Beckenbodengymnastik auf Rezept. Nutzen Sie dieses Angebot! Eine erfahrene Physiotherapeutin kann beispielsweise mittels Biofeedback-Geräten genau feststellen, ob Sie die richtigen Muskeln anspannen, und Sie gezielt korrigieren. Sie gibt Ihnen außerdem individuell angepasste Tipps, welche Übung bei Ihnen den meisten Erfolg verspricht. Männern, denen es schwerfällt, den Beckenboden zu lokalisieren, können durch manuelle Techniken oder Visualisierungshilfen der Therapeutin enorm profitieren.
Falls Ihre Inkontinenz sehr stark ist, z. B. permanenter Harnverlust trotz Training, oder auch nach einigen Monaten kaum Besserung eintritt, sprechen Sie unbedingt Ihren Arzt/Ihre Ärztin darauf an. Es könnte medizinische Gründe geben, warum das Training allein nicht ausreicht. In solchen Fällen gibt es ergänzende Maßnahmen, etwa medikamentöse Therapien, weitere Therapieformen oder in schweren Fällen auch operative Lösungen (z. B. ein Schlingenkissen oder ein künstlicher Schließmuskel). Aber keine Sorge: Die meisten Patienten kommen mit konservativen Methoden gut zurecht. Dennoch ist es sinnvoll, Teil eines Netzwerks zu sein. Ihr Urologe kann Sie vielleicht an ein Kontinenz-Zentrum verweisen oder Ihnen Ansprechpartner nennen. Die Deutsche Kontinenz Gesellschaft bietet beispielsweise eine Suche nach zertifizierten Kontinenz- und Beckenboden-Zentren in Ihrer Nähe. Dort sind Experten verschiedenster Fachrichtungen vernetzt.
Auch psychologische Unterstützung kann ein Thema sein: Ein Leben mit Inkontinenz zehrt an den Nerven. Scheuen Sie sich nicht, bei Bedarf mit einem Psychologen/einer Psychologin oder in einer Selbsthilfegruppe über Ihre Sorgen zu sprechen. Inkontinenz bei Männern ist zwar ein Tabuthema in der Öffentlichkeit, aber Sie werden erstaunt sein, wie viele Betroffene es gibt. Viele Männer über 50, insbesondere nach Prostata-Operationen, sind betroffen. Geteilte Erfahrungen können die Last mindern.
Fazit: Schritt für Schritt zu mehr Kontinenz und Lebensqualität
Die Kontinenz nach einer Prostata-OP wiederzuerlangen, erfordert Zeit, Geduld und aktives Zutun, aber es lohnt sich. Mit gezieltem Beckenbodentraining können Sie Ihrem Körper dabei helfen, die durch die Operation entstandenen Veränderungen auszugleichen. Lernen Sie Ihren Beckenboden kennen, üben Sie regelmäßig und integrieren Sie kleine Übungen in Ihren Alltag. Vermeiden Sie dabei typische Fehler wie die falsche Anspannung der Muskeln oder das Anhalten der Atmung. Bleiben Sie motiviert am Ball. Die Erfolge – seien sie anfangs noch so klein – werden mit der Zeit größer: vom sicheren Gang zur Toilette bis hin zu verbesserten sexuellen Funktionen. Und denken Sie immer daran, dass Sie nicht alleine sind. Bei Bedarf holen Sie sich professionelle Hilfe.
Wir hoffen, dass wir Sie mit diesem Artikel zum Thema „Kontinenztraining bei Männern nach Prostata-OP“ unterstützen konnten. Bleiben Sie dran! Ihr Körper wird es Ihnen danken, und Stück für Stück gewinnen Sie Sicherheit und Kontrolle zurück. Viel Erfolg auf Ihrem Weg zu einem starken Beckenboden und einem unbeschwerteren Leben!